Verschuldung eines vermeintlichen Helden. Über Wilhelm Raabes Stopfkuchen

Studienarbeit aus dem Jahr 2000 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, Universität Duisburg-Essen (Fachbereich 3), Veranstaltung: Schwarzer Realismus: Raabe, Fontane, Heinrich Mann, Sprache: Deutsch, Abstract: Wenn Hegels Bestimmung des Kunstschönen in der klassischen deutschen Ästhetik durch die Einheit und Wechselwirkung von geistiger Idee und sinnlicher Gestalt charakterisiert wird1, scheint Wilhelm Raabes Roman Stopfkuchen diesem ästhetischen Begriff in vollendeter Weise zu entsprechen. Denn mit Raabes 'See- und Mordgeschichte' liegt die seltene Begebenheit vor, dass der poetische Gehalt, der sich nicht nur in der psychologischen Charakterisierung des Titelhelden erschöpft, sondern zugleich ein metaphysisches Panorama über Prädestination und Schuldwerdung des Menschen aufwirft, und seine formale Gestaltung von der Erzählperspektive bis hin zur dichterischen Sprache in Wechselwirkung und Einheit erscheinen. So wird etwa Stopfkuchens übermenschliche Gelassenheit, seine 'behagliche Weltverachtung', nicht allein dadurch poetisch umgesetzt, dass er - vermittelt durch den schreibenden Erzähler Eduard - das Gespräch in herrischer und dominanter Weise immer wieder an sich reisst, auch in einer dichten Leitmotivik, die immer gleiche Bilder aufgreift, findet Heinrich Schaumanns Gemüt eine Entsprechung. Im Folgenden soll versucht werden, diese Wechselwirkung inhaltlicher und formaler Züge in Raabes Stopfkuchen offenzulegen. Die existenziellen Aussagen des Romans werden dabei ebenso berücksichtigt wie Fragen des erzählerischen Verfahrens. Es wird somit einerseits eine inhaltlich orientierte Wertung der Handlung unternommen, insbesondere die Problematik der Hauptfigur herausgearbeitet, andererseits der Frage nach der Erzählstruktur Rechnung getragen. Es sei vorweg schon angedeutet, dass beide Perspektiven einander durchdringen; die erzählerische Komposition des Romans und die aufgeworfenen psychologischen, ethischen und philosophischen Probleme ergeben ein dichtes Spannungsfeld.