Victor Klemperer und Leipzig

"Wenn man als Fremder nach München kommt, ist man geblendet, wenn man dort wohnt, ist man bald alle Illusion los. Mit Leipzig verhält es sich genau umgekehrt. Erst bietet es gar nichts, nachher alles." Dieses Lob stammt aus der Feder des Romanisten Victor Klemperer (1881-1960). Klemperer ist bekannt geworden durch die erschütternde und eindringliche Schilderung der NS-Zeit in seinen Tagebüchern aus der Sicht eines rassisch Verfolgten. Weniger bekannt ist, dass Victor Klemperer vom August 1916 bis zum Ende Januar 1919 gemeinsam mit seiner Frau Eva in Leipzig lebte. Als Kriegsfreiwilliger war er im Juli 1915 eingezogen und im Juli 1916 zum Buchprüfungsamt im Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost (Ob Ost) in Kowno versetzt worden. Als diese Einrichtung der Militärzensur eine Außenstelle in Leipzig einrichtete, ging Klemperer mit und versah hier seine Zensorentätigkeit im Gebäude der Deutschen Bücherei. In seiner Autobiographie Curriculum vitae schilderte Klemperer nicht nur, dass er wie ein Automat unbeteiligt Gutachten produzierte und Entscheidungen traf. Es beschrieb die geistige Unfreiheit und die Ohnmacht, sich als Wissenschaftler nicht weiter entwickeln zu können. Das Ehepaar Klemperer lernte aber auch die viertgrößte Stadt Deutschlands näher kennen, traf im Café Platen, im Café Merkur und im Thüringer Hof interessante Menschen, nahm das Treiben während der Kriegsmessen wahr und schätzte das kulturelle Leben der Stadt, insbesondere Theater und Konzert.

Der Verfasser, Jg. 1947, Diplomlehrer und Fachbibliothekar wurde 1978 Mitarbeiter an der Deutschen Bücherei Leipzig. Er leitete von 1985 bis 2005 das Deutsche Buch- und Schriftmuseum der Bibliothek und gehört zu den Mitbegründern des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens und des Leipziger Jahrbuchs zur Buchgeschichte, dessen Mitherausgeber er war. Er veröffentlichte zahlreiche Beiträge zur Buchgeschichte.

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