Von der Souveränität

Geschrieben nach der Revolution, im Schweizer Exil, ist Joseph de Maistres Werk 'Von der Souveränität' das Gegenstück zu dem zentralen Werk der politischen Literatur des 18. Jahrhunderts, dem Rousseauschen Gesellschaftsvertrag. Während Rousseau über die Konstruktion einer ursprünglichen Gewaltübertragung die Grundlage der modernen Gesellschaft weniger begründet als vielmehr beschwört, ist de Maistres Position von unerschütterlichem Skeptizismus bestimmt. Diese antimoderne Reaktionsbildung freilich lässt (glänzend formuliert und von schwarzer Luzidität) die verdrängten Fragen und Hohlräume der frühen Moderne zur Sprache kommen. Das Volk ist der Souverän, sagt man. Und von wem? Von sich selbst offenbar. Das Volk ist also Subjekt. Es gibt hier eine Zweideutigkeit, wenn nicht gar einen Irrtum, denn das Volk, das befiehlt, ist nicht dasselbe, das gehorcht. Es reicht, den allgemeinen Satz aufzustellen, 'Das Volk ist der Souverän', um zu fühlen, dass es hier eines Kommentars bedarf. De Maistre, von dem Baudelaire bekundete, dass er ihn denken gelehrt habe, gibt sich in diesem frühen Text als einer der ersten Protagonisten der schwarzen Moderne zu erkennen. Nicht als Utopist, sondern als Strukturalist der Macht geht es ihm weniger um das Naturrecht als um die konkrete Maschine der Macht. Will man die Theorie der modernen Gesellschaft erfassen, so gilt es, hinter der Lichtgestalt des Gesellschaftsvertrags seinen dunklen Zwilling ins Auge zu fassen - Rousseau mit de Maistre zu lesen.

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