Wenn es Nacht wird

Detective Joe Cullen möchte nichts zu tun haben mit dem übertrieben ausgelassenen Theater der großen und kleinen Partys aus Anlass des St. Patrick's Day - er nimmt sich frei und macht all die tausend Dinge, für die im Alltag kaum Zeit bleibt: die Wohnung aufräumen, in Ruhe einkaufen, ins (Programm-) Kino gehen und alte französische Filme sehen. Leider kommt alles anders, als er aus dem Café des Kinos Zeuge eines brutalen Mordes auf offener Straße wird. Was er zu dem Zeitpunkt noch nicht ahnt: zeitgleich passiert ein zweiter Mord. Und beides zusammen markiert den Beginn einer Kette von Ereignissen, die vieles ändern werden, auch für Joe Cullen. Genau in diesem Augenblick, genau in diesem beschissenen, gottverdammten Augenblick tauchte die Frühlingssonne hinter einer dicken, fetten Wolke auf, und das Sonnenlicht loderte durch die Balkontür herein, verschlang den Balkon, verwandelte den anderen Mann von einem Menschen in eine Silhouette, ein spinnenartiges Etwas, einen Alien, knochenlos, ektoplasmatisch. Das Licht blendete Cullen für einen Moment, und das wusste der andere. Er drehte wirbelte flog peitschte herum, hatte die Hände vor sich gestreckt, zusammengehalten, zielte richtete griff attackierte schoss ballerte feuerte. Woher die Kanone gekommen war - Cullen hatte nicht den geringsten beschissenen Schimmer. Hatte sie die ganze Zeit über in der Hand des Mannes gelegen oder hatte sie vorn in seinem Gürtel oder hinten in seiner Gesäßtasche gesteckt? Cullen hätte es bemerken müssen. Aber was spielte es schon für eine Rolle, auf lange Sicht gesehen, in einem größeren Rahmen? Der Kerl hatte eine Kanone, er hatte sie von irgendwoher gezogen, er schoss damit, schoss damit auf Cullen, 50 Jahre, nicht einfach nur ein Meilenstein, ein Endpunkt, und das war's dann, was spielte es schon für eine Rolle? »Der Anfang ist ganz in Osters bewährter Manier gehalten: Riskanter Quereinstieg, unverständliche Gewalttat sehr blutdürstig, sehr brutal, aber nie voyeuristisch. Der Roman ist gekonnt waghalsig aufgebaut und von der ersten Seite an spannend. Alles ist geschmückt mit schier schnörkellosen Ab- und Ausschweifungen, die, obgleich sie sinnlos sind, den Plot ausmachen. Ich habe das Manuskript mit feministischer Faszination und literarischem Wohlwollen gelesen.« So die Autorin und Dramaturgin Uta-Maria Heim, nachdem sie für Rowohlt das amerikanische Manuskript gelesen hatte.

Jerry Oster ist 1943 in New Mexico geboren, kommt als Zehnjähriger nach New York, besucht die Highschool, geht später auf die Columbia University, wo er Englische Literatur im Hauptfach studiert. Danach hat er einen Job bei United Press International News Service, dann bei Reuter und schließlich bei den New York Daily News. Ein Journalist, ein Mann wie manche seiner Protagonisten. Jerry Oster war Polizeireporter, hat unzählige Tatorte aufgesucht und über alle möglichen Verbrechen geschrieben. 1980 erscheint mit »Port Wine Stain« sein erster Krimi. Der Durchbruch gelingt 1985 mit dem Roman »Sweet Justice«, der von der Kritik sehr positiv aufgenommen wird. Trotz durchweg guter Besprechungen löst Osters amerikanischer Verlag 1992 seinen Vertrag mit dem Autor. Danach sind weitere Romane dank des großen Engagements seines damaligen deutschen Verlags Rowohlt zumindest auf Deutsch erschienen. Peter Hetzel, sein Lektor bei Rowohlt, verglich Osters kunstvoll komponierte Gesellschaftspanoramen mit einer Bemerkung, die George Grosz über New York machte: »Alles dörrt, siedet, zischt, grölt, lärmt, trompetet, hupt, pfeift, rötet, schwitzt, kotzt und arbeitet.« Oster ist ein wahrer Meister darin, seine Plots mit scheinbar sinnlosen Ab- und Ausschweifungen auszuschmücken, die dann in ihrer Summe ein atmosphärisch dichtes und plausibles Gemälde dieses »Kolosses unter den Städten« und der dort lebenden Menschen ergeben.

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