Zur politischen Theologie des Judentums

Elisa Klapheck sucht nach den politischen Implikationen der jüdischen Theologie. Im Zentrum des Politischen steht das gewandelte Verhältnis des Menschen zu Gott. Die ersten Geschichten der Bibel präsentieren Gott noch als Despoten, der eine unbeschränkte Theokratie verlangt, während er sich später als politischer Partner des Menschen selbst an Rechtsnormen bindet. Bereits im ersten Bund mit Noah ist eine Garantie des künftigen Willkürverzichts Gottes gegenüber seinen Geschöpfen zu erkennen. Dann wiederum beschreibt die Tora die Entstehung von Rechtsverhältnissen zwischen den Menschen. Die jüdische Version der polis ist dabei der kahal, dessen Ausweitung über die einzelne Gemeinde hinaus - anders als in der griechisch-römischen Tradition - nicht zu einer vereinheitlichenden Staatsbildung führt, sondern zur dezentralen politischen Wirklichkeit der Diaspora. In die wechselhafte gesellschaftliche Realität muss Gott immer wieder neu integriert werden. Die talmudische Tradition fordert die tätige Selbstkorrektur des Menschen und führt nicht zu einer Relativierung des göttlichen Rechts, sondern zur Bestätigung der Tora als gesetzlicher Maßstab. Kennzeichnend für die religiös-säkulare Spannung des (rabbinischen) Judentums wird der produktive Konflikt mit Gott, der die jüdische Tradition zu einer Theologie der säkularen Gesellschaft weiterentwickelt. Klaphecks facettenreiche Interpretationen zeigen den Reichtum dieses Traditionsbestandes, werfen Schlaglichter auf politisch-theologische Positionen aktueller Debatten. Zu Fragen nach Ausgestaltung des egalitären Rechtsstaats, im Blick auf die Stadt als Paradigma des Politischen, zu Diskussionen um die Bundesstaatlichkeit der EU liefert die jüdische politische Theologie erstaunliche Anstöße. Die Diaspora avanciert zum Vorbild einer pluralistischen Globalisierung und sogar die prinzipielle Begründung von Frauen- und Minderheitenrechten kann aus dem Ideenreservoir des Judentums begründet werden. Sie beweist eine bemerkenswerte Relevanz für die Orientierung in gegenwärtigen politischen Krisen.

Elisa Klapheck, geb. 1962, ist eine liberale Rabbinerin in Frankfurt a. M. und Professorin für Jüdische Studien an der Universität Paderborn. Sie studierte Politologie, Rechtswissenschaft und Judaistik. 1998 wurde sie Pressesprecherin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Dort gehörte sie zu den Mitbegründern der liberalen Synagoge Oranienburger Straße und der jüdisch-feministischen Organisation 'Bet Debora'. Nach ihrer Ausbildung als Rabbinerin war sie zunächst in Amsterdam als erste Rabbinerin in der niederländisch-jüdischen Geschichte bei der Gemeinde 'Beit Ha'Chidush' angestellt. Seit 2009 ist sie Rabbinerin in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt a. M. Veröffentlichungen u.a.: Fräulein Rabbiner Jonas. Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden? Berlin 1999; Wie ich Rabbinerin wurde. Freiburg 2012; Margarete Susman und ihr jüdischer Beitrag zur politischen Philosophie. Berlin 2014; TB-Ausgabe 2021.

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