Am Sprechen sterben? - Sarah Kofmann, Primo Levi

Die Autorin stellt sich in dieser Arbeit die Frage, ob und unter welchen Bedingungen das Beschreiben oder Aussprechen einer katastrophalen traumatischen Erfahrung dem Subjekt hilft oder ob es im Gegenteil tödliche Folgen hat. Primo Levi hat seine Gefangenschaft in Auschwitz gleich nach der Befreiung in einem sehr sachlichen Bericht beschrieben, und es scheint, als habe er sich dadurch vom durchlebten Schrecken befreit. Doch das Schuldgefühl des Überlebenden findet in seinen späteren Texten einen oft indirekten Ausdruck; Levi suizidiert sich mit 68 Jahren. Sarah Kofmans Vater wurde von den Nazis ermordet; sie selbst verleugnete als Kind ihre Mutter zugunsten der Frau, die sie vor der Deportation gerettet hatte. Kofman hat diese Erfahrung mit den dazu gehörigen Gefühlen von Schuld und Scham erst als 61jährige direkt in einem Text formuliert, nachdem sie sie vorher nur auf indirekte Weise thematisiert hatte; auch sie suizidierte sich, vier Jahre später. Die Autorin warnt vor voreiligen Schlußfolgerungen über den Zusammenhang von Aussprechen oder Beschreiben und Suizid. Sie formuliert einige Bedingungen für ein hilfreiches Aufnehmen eines derartigen Berichts in der psychoanalytischen Situation: Vor allem sollte der Psychoanalytiker nicht den Eindruck erwecken, als stehe er dem Bericht des Analysanden mit derselben Teilnahmslosigkeit gegenüber wie weite Teile der Öffentlichkeit dem Bericht der traumatisierten Überlebenden.

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