Dionysos gegen den Gekreuzigten

Noch während der jungen Weimarer Republik endet mit dem Expressionismus eine höchst eigenwillige Kunstepoche und mit ihr eine literarische Zivilisationskritik, wie es sie in dieser Form noch nicht gegeben hat. Dichter wie Georg Trakl, Georg Heym und Ernst Toller werfen die Frage nach der Zukunft der modernen Welt auf, respektlos gegenüber der bislang gebräuchlichen Syntax und Grammatik in ihrer übertreibenden Ausdrucksweise, voller Dynamik, Leidenschaft und Sinnlichkeit. Der bedeutendste Vertreter der expressionistischen Dramatik ist Georg Kaiser (1878-1945), der 1912 mit "Von morgens bis mitternachts" eines der Gründungsdokumente des dramatischen Expressionismus geschaffen hat: kein kontinuierliches, dramatisches Drama mehr, sondern ein zweiteiliges Stationendrama. Sprunghaft und in symbolischer Raffung gibt Kaiser typische Erlebnissituationen, die nicht mehr Aristoteles, Gottsched und Lessing verpflichtet sind, sondern den mittelalterlichen Mysterienspielen, August Strindberg und der Filmmontage. Und Friedrich Nietzsche, dem ganz besonders. Dass und wie Georg Kaiser das Denkwerk des großen deutschen Philosophen in seinem Erneuerungsdrama rezipiert hat, untersucht Ulrich Wirth in seiner rezeptionsgeschichtlichen Studie: auf breiter Quellenbasis, kritisch und umsichtig, gekonnt und selbstbewusst.

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