Hitler und Speer. 'Gesichter totalitärer Herrschaft'

In den Psychogrammen von Hitler und Speer repräsentiert sich die gesamte Bandbreite der nationalsozialistischen Herrschaftsideologie, ihres Vernichtungs- und Rassenwahns sowie ihrer technokratischen und bürokratischen Rationalität wieder, die erst den Massenmord möglich gemacht hat. Metaphysisch betrachtet war Hitler die Inkarnation des absolut Bösen in der Politik, welches nicht als eine exterritoriale Macht über die Menschheit gekommen ist, sondern die totale Negation der Zivilisation, begründet durch eine verbrecherische Ideologie. Hitler war der Rückfall einer bislang aufgeklärten Gesellschaft in die archaische Barbarei, in der das Gesetz des Stärkeren herrscht und ein gnadenloser Auslesekampf die politischen Leitlinien bestimmt. Er wollte die Welt von einer historischen Vergangenheit der Aufklärung und Humanität befreien und das Gesetz der humanistischen Evolution aufheben, weil dieses stets den Schwachen schützt. E.T.A. Hoffmann hat in seiner Erzählung 'Der Magnetiseur' in der Figur des Alban jene dämonische Kraft literarisch vorweggenommen, die in grenzenloser Macht in der Ödnis einer sinn- und moralentleerten Welt herrscht und in der es keinerlei ethische oder soziale Hemmungen mehr gibt. Die phantastischen Bilder der Morbidität und des Unterganges die E.T.A. Hoffmann entwarf und die noch in literarischer Ästhetik verblieben, wurden durch Hitler indes in alleräußerster Konsequenz verwirklicht und bildeten somit die Grundlagen seiner Politik. Hitler war mit seiner grenzenlosen Machtentfaltung auf der politischen Bühne der Figur des Alban erschreckend ähnlich, der den absoluten Willen zur Macht und Destruktivität verkörperte. So wie Alban vollkommen enthemmt ist, war auch Hitler vollkommen enthemmt und deshalb in der Lage, sich nicht nur über jede Form des menschlichen Zusammenlebens zu erheben, sondern es abgrundtief zu verachten. Seine Vorstellung von der Vollendung der menschlichen Gemeinschaft bestand darin, dass erst dann die Welt zur 'Ruhe' kommt, wenn der letzte Mensch den vorletzten Menschen umgebracht haben wird. Dann hat der 'ewige' sozialdarwinistische Auslesekampf seine Aufgabe erfüllt. Politik war für ihn im Sinne dieser nihilistischen Philosophie nicht das Mittel zur Befriedung eines Gemeinwesens, sondern diente lediglich dem Zweck zur totalen Zerstörung. Hitlers Rassenwahn hat die Schwelle zu einer Biopolitik überschritten, deren Schatten ihre Vergangenheit überdauern und die technokratischen Bedrohungen der Zukunft bilden. Somit ist Hitler auch ein Produkt des modernen Zeitalters, in der alles machbar zu sein scheint, ohne jede Hemmungen und wo die Machbarkeit von Politik und Technologie der Moral übergeordnet ist. Hitler und Speer verkörpern daher, jeder auf seine destruktive Weise, die Doppelseitigkeit totalitärer Herrschaft in ihren Auswüchsen grenzenloser Vernichtungsabsichten und technokratischer und bürokratischer Perfektion. Speer war in diesem Sinne der Prototyp einer künstlerischen und technokratischen Elite, derer sich - Hannah Arendt zufolge - nicht nur totalitäre Herrschaftsformen bedienen, sondern die in jedem politischen System ihre tragende Rolle finden und sich immer wieder auf ihre bloße Funktion als Fachleute, Juristen, Künstler etc. zurückziehen um sich jeder politischer Verantwortung zu entziehen. Im rechtlichen Sinne befanden sich Speer und vergleichbare Funktionseliten frei von Schuld und Verantwortung im eigentlichen Sinne, da sie keine Gesetze erließen, keinerlei Willkürakte durchführten oder andere Menschen eigenhändig umbrachten. Sie zogen sich vielmehr auf angeblich unpolitische Positionen zurück, um sich eine vorwurfsfreie Existenz zu sichern, die sie wie Speer, bis an ihr Lebensende hartnäckig verteidigten. Gleichwohl wäre ohne die 'Speers' die Herrschaft des Nationalsozialismus als totalitäre Herrschaftsform kaum möglich gewesen.

Manfred J. Foerster studierte Psychologie, Erziehungswissenschaft, Soziologie und Philosophie in Aachen und Mainz und promovierte in Heidelberg über die Analytische Psychologie Carl Gustav Jungs. Der Autor leitete über 20 Jahre die Beratungs- und Fortbildungsstelle für ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiter/innen im hessischen Strafvollzug. Für diese Tätigkeit ist er mit dem Förderpreis der Fritz-Bauer Stiftung und mit dem 'Wilhelm Fay Gedächtnispreis der Stadt Frankfurt/Main' ausgezeichnet worden. Er ist als Lehrbeauftragter im Fachbereich Erziehungswissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz tätig. Seine Schwerpunkte sind: Frühkindliche Bindungserfahrungen und Sozialisation, Ursachen und Auswirkungen von Persönlichkeitsstörungen, sowie Persönlichkeitsprofile von Gewalt- und Sexualdeliktern. Darüberhinaus ist er seit über 10 Jahren als Supervisor im 'Freundeskreis für Suchtkrankenhilfe- Landesverband Rheinland Pfalz e.V.' tätig. Die in diesem Buch behandelten Themen sind im Rahmen einer Vorlesungsreihe des Autors an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz gehalten worden. Wichtigste Veröffentlichungen: Individuation und Objektbeziehung Eine Auseinandersetzung mit der Analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs (Aachen 2000); Bindungstheorie und Persönlichkeitsstörungen bei Klienten der Straffälligenhilfe, in: DVJJ 2002/ Heft 3; Lasten der Vergangenheit Traditionslinien zum Nationalsozialismus (London 2006); Zur Psychopathologie des Rassismus und Antisemitismus (Aachen 2009); Übertragung-Persönlichkeitsstörungen und das Dilemma des Helfers, in: Bewährungshilfe Soziales- Strafrecht- Kriminalpolitik 2003/ Heft 1); Zum Umgang mit Sexual- und Gewaltdelinquenten in der Straffälligenhilfe aus Sicht der Objektbeziehungs- und Bindungstheorie, in: Bewährungshilfe Soziales- Strafrecht- Kriminalpolitik/ 2003/ Heft 3; Frühe Traumatisierungen und Delinquenz- der Täter als Opfer seiner Biographie. Zur Wirklichkeit früher Traumatisierungen im Kontext der Straffälligenhilfe (Ursachen- Auswirkungen- Perspektiven) in: Neue Praxis, 2005/Heft 4; Die antisoziale Persönlichkeit im Strafvollzug dargestellt an der Person des Hannibal Lecter aus dem Film Das Schweigen der Lämmer, in: Forum Strafvollzug, 2013/ Heft 3; Bildungsbürger Nationaler Mythos und Untertan Betrachtungen zur Kultur des Bürgertums (Aachen 2009)

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