Sigmund Freud und Hermann Sudermann oder die wiedergefundene, wie eine Krankengeschichte zu lesende Novelle

Zur Beantwortung der hermeneutischen Frage, warum Sigmund Freud in den Studien über Hysterie (1895) gerade in den epikritischen Bemerkungen zu »Elisabeth v. R.« mit Erstaunen feststellt, daß seine Krankengeschichten wie Novellen zu lesen sind, wird an die Geschichte der Krankengeschichte mit ihrem topischen Frageschema erinnert, die Theorie der Novelle erörtert und die Wechselbeziehung beider literarischen Gattungen an prominenten Beispielen beleuchtet. Die Parallele zwischen der zeitgenössischen Novellentheorie und Freuds Krankengeschichten besteht darin, daß beide »einen seelischen Konflikt« ins Zentrum ihrer Darstellung rücken. Tatsächlich hat Hermann Sudermann, der bedeutendste Dramatiker der Wilhelminischen Ära und nahe Freund und Patient von Wilhelm Fließ, in einer viel gelesenen Novelle mit dem Titel Der Wunsch (1888) denselben Konflikt behandelt, den Freud in seiner Krankengeschichte aufdeckt und genetisch rekonstruiert.

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