Abhängigkeit der literarischen Sozialisation vom kulturellen Kapital der Herkunftsfamilie

Lange vor dem Erwerb von Schriftkompetenz beginnt die Lese- bzw. die literarische Sozialisation. Insbesondere im paraliterarischen Sozialisationsprozess, der die lebensgeschichtliche Basis für die gesamte schriftsprachliche Enkulturation darstellt, hebt sich diese Differenzierung aufgrund der Dominanz literarischer Texte wieder auf, sodass 'literarische Sozialisation als prototypischer Kern von Lesesozialisation bezeichnet werden kann'.
Da sich die vorliegende Arbeit hauptsächlich mit den Faktoren der frühen Sozialisation beschäftigt, wird im Folgenden nur noch der Begriff der literarischen Sozialisation verwendet. Diese beginnt mit der Geburt und durchläuft bis zum Erwachsenenalter unterschiedliche Phasen mit verschiedenen Sozialisationsinstanzen. Die Familie stellt hier die am besten erforschte Instanz dar, die darüber hinaus gleichzeitig die eindeutigsten Ergebnisse zeigt. Dabei wurde die soziale Herkunft als wesentlicher Faktor der literarischen Sozialisation ermittelt und vielfach bestätigt. Die Familie besitzt 'die wichtigste Vermittlungsfunktion, weil sie nicht nur am frühesten, sondern auch am nachhaltigsten wirksam ist'. Für eine erfolgreiche (para-)literarische Sozialisation ist vor allem ein lesefreundliches und kommunikatives Interaktionsklima in der Familie ausschlaggebend. Eine förderliche Atmosphäre kommt vor allem durch folgende Praktiken zum Ausdruck bzw. korreliert mit folgenden Phänomenen: 1. Existenz und Quantität von Büchern , 2. Das elterliche Vorbild , 3. Vorlesen und Anschlusskommunikation , 4. Grad des Bildungsabschlusses der Eltern.
Der Soziologe Pierre Bourdieu wies nach, dass die Herkunft eines Menschen sein Wahrnehmen, Beurteilen und Handeln grundsätzlich prägt und sich so ein Habitus herausbildet, der in klassenspezifischen Praktiken und Reproduktionsprinzipien in Erscheinung tritt.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, zu fragen, ob die vier oben genannten Praktiken bzw. Phänomene als Ausdruck eines klassenspezifischen Habitus nach Pierre Bourdieu zu werten sind und ob literarische Sozialisation vom kulturellen Kapital der Herkunftsfamilie abhängt.